In sechs Ausstellungen um die Welt
Sie geht nun in ihr dreiunddreißigstes Jahr, die
Galerie der Marianne Heller – auch nach einem Drittel Jahrhundert
schreitet die Heidelberger Galeristin ihren Weg konsequent vorwärts
und bewährt den durch gleichermaßen hartnäckige
wie risikofreudige Arbeit befestigten Ruf, in Deutschland die erste
Adresse für internationale zeitgenössische Keramik zu
sein. Frei heraus gesagt: Keine bundesdeutsche Institution, kein
Museum kann konkurrieren mit dem, was hier, in den großzügigen
Räumen des repräsentativen Flachbaues am Heidelberger
Stadtgarten, über`s Jahr an keramischer Internationalität
zu sehen ist – kein Museum, keine Institution mag in Anbetracht
der allseits beklagten desolaten Finanzlage noch derart ausgreifen
und sich für den Bereich der Keramik auch nur in annäherndem
Maße engagieren. Wie die Privatfrau Marianne Heller ihr Programm
dann doch immer wieder auf die Beine stellt, bleibt bewundernswert
und rätselhaft zugleich – Fakt ist: So konzentriert wie
hier sind an keinem anderen Ort in deutschen Landen gleichermaßen
Stars wiederzusehen wie Neuentdeckungen zu machen, gepickt von der
ganzen keramischen Erdkugel. Wer immer ein Faible für das Genre
hat, kommt nicht umhin, mehrfach per anno sich die Neckar-Metropole
zum Reiseziel zu wählen oder doch zumindest den Zwischenhalt
zum Besuch der Galerie einzuplanen. Und daß dies auch 2011
so sein wird, dafür bietet das neue Programm mit den Länderstationen
USA, Japan, Deutschland, Tschechische Republik, Brasilien und Schottland
vielfach Anlaß. (Nebenbei: Daß Marianne Heller im vergangenen
Jahr in den Council der Genfer Académie Internationale de
la Céramique (AIC) gewählt wurde, darf als Anerkennung
ihres Engagements gelten: Congratulations!)
Den Auftakt des Galerie-Jahres 2011 bildet am 30. Januar eine Matinée
mit einer Präsentation zum Motto „So weiß wie...“
– aus Galeriebeständen eine Zusammenstellung, die alle
Schattierungen von Weiß und beileibe nicht nur Porzellan zeigt:
Schöne Gelegenheit, Arbeiten von Arnold Annen, Gordon Baldwin,
Michael Cleff, Daphne Corregan, Ken Eastman, Stefanie Hering, Saturo
Hoshino, Suku Park, Rupert Spira, Aisaku Suzuki u. a. wiederzusehen
oder neu zu entdecken – für alle Spät-Entschlossenen
und Zuspät-Gekommenen...
Die erste Sonderausstellung vom 20. Februar bis zum 3. April wird
dann gleich ein Highlight für alle Freunde und Freundinnen
japanischer Keramik und der Ästhetik des im Holzofen Gebrannten:
Nach rund zweieinhalb Jahren sind Isezaki Jun aus
Japan und Jeff Shapiro aus den USA wieder in einer
gemeinsamen Ausstellung mit neuesten Arbeiten präsent. Isezaki
Jun, 2004 zum „lebenden Nationalschatz“ ernannt –
die höchste Auszeichnung, die ein japanischer Keramiker erhalten
kann – steht ganz in der seit sieben Jahrhunderten ungebrochenen
Tradition von Bizen: Unglasiertes, nur der Glut und dem Aschenanflug
in langen Tunnelöfen ausgesetztes Steinzeug in traditionellen
Formen, oft mit eingebrannten Mustern salzgetränkten Strohs.
So sehr Isezaki Jun dieser Herkunft auch verpflichtet ist, hat er
gleichwohl den Formenschatz in unverkennbarer Weise vorsichtig personalisiert,
so in seinen geflügelten Kasten-Vasen mit den unregelmäßig
ausgeschnitten Füßen. Extremer noch in den anflugverkrusteten
Oberflächen und der schon skulpturalen Anmutung zeigen sich
die kantigen Arbeiten des Amerikaners Jeff Shapiro. Lange Jahre
in Japan tätig gewesen und heute in New York lebend, gilt Shapiro
als einer der großen westlichen Weiter-Entwickler der Technik
des Holzofenbrandes.
Seinen experimentellen Höhepunkt erreicht der Ausstellungsreigen
schon vom 10. April bis zum 22. Mai. Den schlichten Titel „Tee-Tisch“
haben Studenten und Studentinnen der Klasse von Frau Prof.
Kerstin Abraham an der Kieler Muthesius Kunsthochschule
zum Anlaß genommen, ihm metaphorische Dimensionen abzulauschen
– von der Kultur und Soziologie des Tee-Trinkens werden ihre
Arbeiten handeln. Neben benutzbaren Tee-Sets werden Kleininstallationen
Tee-Tische und Tischlandschaften inszenieren, die über Gesellschaftlichkeit
und Gewohnheiten sinnieren lassen. Der Tee-Automat und die Thermoskanne
werden als Kunstobjekte ebenso thematisiert wie die Beiläufigkeit
des Teetrinkens beim computergesteuerten Raketeneinschlag im Afghanistan-Krieg.
Kerstin Abrahams eigener Beitrag wird eine Hommage an die dekorierten
Teekannen Hedwig Bollhagens sein, drapiert auf fayencener Platte
eines Eschenholz-Tischchens... Gemeinsam mit den Kieler Adepten
stellen der englische Keramiker Julian Stair und
die in Deutschland die Keramische Werkstatt Margaretenhöhe
Essen leitende Koreanerin Young-Jae Lee aus, die
beide als Gastdozenten die Kieler Klasse zum Thema unterrichteten.
Julian Stair ist berühmt für seine enigmatischen Stilleben
von Teegefäßen und -kannen aus grauem oder rotem Steinzeug
oder weißem Porzellan, unnahbar auratische Ensembles, die
in ihrer formalen Klarheit den Ritus des Darbietens versinnbildlichen
– Young-Jae Lees fein glasierte Schalen, mehrfach auch in
Installationen präsentiert, zelebrieren die Nuance, jene entscheidende
kleine Differenz, die aus gleichen Dingen Individuen macht.
Die Reihe der Ausstellungen mit Keramikern aus Tschechien findet
ihre Fortsetzung mit der folgenden Schau vom 19. Juni bis zum 31.
Juli: „Zwischen Prag und Budweis“ präsentiert neue
Arbeiten von Pavel Drda, Elzbieta Grosseová, Jiri
Laštovicka, Tomáš Proll, Eva Slavíková
sowie, als Gast der Tschechen, des Japaners Kaku Hayashi.
Ein weiteres Mal werden hier in den unterschiedlichsten Formen der
Abstraktion und immer wieder in der menschlichen Figur der Hintersinn
und die Ironie der Osteuropäer, aber auch die drängende
Sorge um die existentielle Situation des Menschen Ausdruck finden,
während Kaku Hayashi mit seinen von der Philosophie des Zen
oder von ephemeren Naturphänomenen inspirierten Werkreihen
auf der Suche nach einer universellen Symbolsprache ist.
Ein Schwerpunkt bleibt die Keramik Japans: Nachdem sich die Zusammenarbeit
mit der Yufuku-Galerie aus Tokio im vergangenen
Jahr als höchst erfreulich erwiesen hat, wird vom 4. September bis
zum 9. Oktober wieder eine Gast-Schau der Tokioter Galerie mit vier
japanischen Keramikern zu sehen sein: Atsushi Takagakis
vielfach geknickte Gefäße, überzogen mit fein craqueliertem Seladon,
dem kupferrote Flächen und Kanten einen edlen Kontrast bieten –
Takuo Nakamuras grobflächige Steinzeuggefäße und
Platten, die er partienweise mit einer aus dem Dekor des Kutani-Porzellans
stammenden üppigen Malerei überzieht – Katsumi Kakos
gebaute Steinzeuggefäße mit ihren dezenten, archaisch wirkenden
Mustern – Yoko Imadas ausladende Porzellanschalen
mit laufender, klarer Glasur.
Keramisches Neuland wird vom 23. Oktober bis zum 27. November betreten:
Das Keramikerpaar Elizabeth Fonseca und Gilberto
Paim arbeitet zwar in Brasilien, sie stehen aber mit ihren
linear-geometrisch dekorierten Porzellan- und Steinzeug-Vasen eher
in einer Linie mit dem Werk Lucie Ries oder mit dem Design Skandinaviens.
Auch wenn sie südlich des Äquators entstehen, bestimmen
überraschende Kühle, formale Strenge und farbliche Zurückhaltung
diese stets funktionalen, im besten Sinne dekorativen Arbeiten.
Den Abschluß des Jahres und Übergang nach 2012 bilden
vom 11. Dezember bis zum 29. Januar die so irritierenden wie anrührenden
Plastiken der schottischen Künstlerin Susan O`Byrne
– Tierplastiken, die einzelne Tiere – Fuchs, Gepard,
Gazelle... – wie einer erzählten Situation entnommen
zeigen, märchenhafte Geschöpfe wie aus Fabeln, verletzlich
und hager, doch zart farbig-scheckig zugleich auch, was aus der
Art der Montierung von Tonplatten auf ein Drahtskelett resultiert
– nicht realistisch, aber real wie im Traum.
Dr. Walter Lokau, Leipzig
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